Entre Pindorama – Zeitgenössische brasilianische Kunst und die Adaption antropofager Strategien
Efrain Almeida, Ricardo Basbaum, Lucia Koch, Chaia Lia, Flores Lívia, Joâo Modé
“Pindorama” nennt die indigene Bevölkerung Brasiliens zärtlich ihr Land – “das Land der Palmen“. “Entre” ist eine Aufforderung und Einladung zum Eintreten, zur Begegnung mit einer Kultur, die so vielfältig ist, dass sie sich jeglicher Stereotypisierung verweigert – “Entre” meint nämlich auch: “Dazwischen“.
Entre Pindorama ist ein zusammen mit dem brasilianischen Künstler und Dramaturgen Giorgio Ronna konzipiertes Ausstellungs- und Veranstaltungsprojekt, das einen Einblick in die unterschiedlichen Positionen zeitgenössischer brasilianischer Kunst geben möchte. Grundlegend hierfür ist eine Auseinandersetzung mit den Ideen der Antropofagia, einer kulturellen Bewegung des brasilianischen Modernismus, die in der kulturellen Praxis Brasiliens auch heute noch eine wichtige Rolle spielt. Die Strategie der Antropofagie, der „Menschenfresserei“, zielt auf kulturelle Aneignungsverfahren des Fremden: Das Andere wird verschlungen, dem eigenen Stoffwechselsystem zugeführt und dient somit als Baustein einer eigenen unverwechselbaren Identität im Hinblick auf eine mögliche kulturelle Erneuerung. Dieses Verfahren plädiert für eine Einverleibung statt einer Zurückweisung, für eine Aneignung statt einer Angleichung und bietet die Chance, Abgrenzungen und Hierarchisierungen zugunsten einfühlender und gleichberechtigter Unmittelbarkeiten im Umgang mit Kulturen zu hinterfragen.
Entre Pindorama möchte diese Ideen aufgreifen und im Hinblick auf ihre Aktualität und Tansfertauglichkeit untersuchen. Das Projekt versteht sich nicht als ein weiterer exotischer Blick auf ein lateinamerikanisches Land, sondern als ein Angebot, neu über kulturelle Festschreibungen nachzudenken und möglicherweise den Verdauungsstörungen westlicher Gesellschaftsstrukturen entgegenzuwirken – gegebenfalls sogar Abhilfe zu leisten.
Die Ausstellung im Künstlerhaus zeigt sechs Positionen zeitgenössischer Kunst aus Brasilien. Der Beitrag von Joâo Modé trägt das Projekt außerdem auch in den öffentlichen Raum: Er wird seine Arbeit auf einem öffentlichen Platz in Stuttgart mit Beteiligung der Einwohner realisieren.
Der Workshop des Künstlers Ricardo Basbaum stellt aktuelle künstlerische Ansätze vor und thematisiert eine performative Umsetzung des gesellschaftlichen Systems von Ich und Du.
Die Vortragsreihe mit dem Titel Antropofagia – Gestern und Morgen ist in einem zweitägigen Seminar zusammengefasst, das öffentlich zugänglich sein wird. KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen und AktivistInnen führen ein in Ideen und Strategien der Antropofagie und diskutieren ihre Aktualität.
Eine weitere Rahmenveranstaltung, in denen Fragen der Konstruktion kultureller Identität und möglicher Berührungsflächen mit dem Anderen und Fremden nachgegangen und in einem aktuellen Kontext verortet werden sollen, finden in Kooperation mit dem IZKT (Internationales Zentrum für Kultur und Technikforschung der Universität Stuttgart) statt.
Einen Einblick in das innovative Filmschaffen Brasiliens von 1931 bis heute bietet das Filmprogramm Invention & Subversion in Zusammenarbeit mit dem Kommunalen Kino Stuttgart. Die vorgestellten Filme zeigen exemplarisch die Konflikte und Problematiken der brasilianischen Gesellschaft auf.
Abschließend widmet sich Entre Pindorama einem der aktuellsten und brisantesten Beispiele gegenwärtiger antropofager Praxis: Der brasilianischen Hip Hop Bewegung. Hip Hop in seiner nordamerikanischen Variante mit allen Facetten der Hip Hop Kultur wird in Brasilien buchstäblich „gefressen“, und doch entsteht durch die eigenen Stoffwechselvorgänge etwas völlig Neues, wie zum Beispiel Rio Funk. Mit MC Tati präsentieren wir in Kooperation mit dem Ladyfest Stuttgart-Esslingen eine der führenden Künstlerinnen dieses Genres. Weitere Positionen des brasilianischen Hip Hops stellt Rafael Dragaud, der Mitbegründer des Hutúz Hip Hop Festivals in zwei Videoprogrammen vor.